

Giuseppe
Italien
Mein Name ist Giuseppe und ich bin im Alter von 4 Monaten mit meinen Eltern aus Sizilien nach Frankfurt gekommen. Seit ich etwa 5 Jahre alt bin, wohnen wir in Maintal.
Welche Erinnerungen hast Du an Italien?
Bis zu meiner Einschulung haben wir jedes Jahr ungefähr 10 Wochen in Italien verbracht. Ich erinnere mich vor allem an die langen Autofahrten und an die große und lebhafte Familie dort. Später wurden die Reisen seltener und kürzer und als Jugendlicher entschied ich mich eher für ein Fußballcamp oder für Ski- und Snowboardurlaub. Heute besuche ich die Verwandtschaft ab und zu sehr gerne und freue mich auf die Begegnung und lebhafte Abende mit ihnen.
Warum sind Deine Eltern nach Deutschland gekommen?
Meine Eltern kamen nach Deutschland, um der wirtschaftlichen Not in Sizilien in den 70er Jahren zu entkommen. Eigentlich wollten sie nur so lange in Deutschland bleiben, bis sie sich ein Auto leisten konnten. Mittlerweise leben sie seit 45 Jahren hier. Mein Vater würde jetzt, wo er in Rente ist, gerne zurück gehen, aber meine Mutter möchte hier bei ihren Kindern und Enkeln bleiben. Wir werden sehen, wie sie sich entscheiden.
Was hat Deine Kindheit geprägt?
Meine Eltern haben immer viel gearbeitet. Als ich sehr klein war, waren beide im Schichtdienst beschäftigt und haben sich bei meiner Betreuung abgewechselt. Manchmal fand die Übergabe an der Bushaltestelle statt. Als meine Schwester zur Welt kam, hat meine Mutter für ein paar Jahre pausiert und erst mit dem Schuleintritt meiner Schwester wieder angefangen zu arbeiten. Trotzdem waren meine Eltern immer für uns da und haben uns nach Möglichkeit unterstützt.
Welche Rolle hat die Schule gespielt?
Die Schule hatte bei uns einen unterschiedlichen Stellenwert. Während meiner Mutter der schulische Erfolg wichtig war, legte mein Vater mehr Wert darauf, dass ich bald Geld verdiene und auf eigenen Füßen stehe.
Trotzdem haben mich beide durch die Schule und das Studium begleitet und mich meinen Weg gehen lassen. Als ich keine Gymnasialempfehlung bekam, hat meine Mutter diese mit Hilfe des italienischen Konsulats für mich erwirkt. Heute sind beide unglaublich stolz darauf, dass ihre beiden Kinder studiert haben.
Wären wir in Sizilien geblieben, wäre ich vermutlich Maurer geworden, genau wie alle meine Cousins. Hier in Deutschland hatte ich die Chance, Abitur zu machen und zu studieren, heute bin ich Lehrer.
Wie hast Du Dein Aufwachsen in Bezug auf Deine Eltern erlebt?
Meine Mutter sprach lange Zeit nur sehr gebrochen Deutsch, vor allem, als ich ein Kind war. Auch mein Vater kann sich zwar verständigen, aber es geht im oft zu schnell auf Deutsch. Ich musste sie oft zu Terminen bei Ärzten, Banken, Behörden und in die Schule begleiten und übersetzen. Ich musste mich auch oft um meine 4 Jahre jüngere Schwester und ihre Angelegenheiten kümmern.
Wo gehörst Du dazu?
In der Schule war ich immer „der Italiener“ obwohl ich mich nicht anders gefühlt habe, als die anderen Kinder. Bestärkt hat mich, dass mir einmal ein Lehrer bei nahezu gleicher Leistung eine bessere Note gab, als meinem Freund. Er begründete es damit, dass ich schließlich ein Handicap hätte, weil meine Eltern kein Deutsch sprechen. Im Sportverein hingegen war ich „der Gymnasiast“ und gehörte wieder nicht voll dazu.
Was haben diese Erfahrungen mit Dir gemacht?
Ob mein Durchsetzungswille vom Leistungssport (Fußball) kommt oder daher, dass ich mich schon früh für mich und meine Familie einsetzen und selbständig sein musste, kann ich nicht sagen. Aber ich habe sowohl privat als auch beruflich davon profitiert.
Natürlich habe ich auch diskriminierende Situationen erlebt. Zum Beispiel wenn mir jemand in gebrochenem Deutsch antwortet, abwertende Kommentare meiner Kumpels oder die ständige Nachfrage, ob ich Italiener sei.
Siehst Du auch Vorteile darin, mit Eltern aus einem anderen Land aufzuwachsen?
Insgesamt sehe ich es als Vorteil, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein. Ich spreche zwei Sprachen fließend und habe an einer bilingualen Schule in Deutsch und Italienisch unterrichtet. Ich habe keine Vorbehalte gegenüber anderen Einstellungen und Lebensweisen und kann mich gut anpassen, wenn etwas anders läuft, als ich es kenne.
Begleiten Dich italienische Traditionen?
Ein typisches Merkmal der sizilianischen Kultur ist für mich die Gastfreundschaft, die meiner Mutter bis heute sehr wichtig ist. In diesem Zusammenhang fällt mir eine lustige Begebenheit ein. Ich war nachmittags bei einem Freund zum Spielen und Lernen und wurde dort spontan zum Abendessen eingeladen. Da die Anzahl der Würstchen für die Familie genau abgezählt war, gab mir der Vater sein Würstchen ab. Als ich zu Hause davon berichtete, war meine Mutter nahezu schockiert – nicht, weil ich sein Würstchen gegessen hatte, sondern weil die Würstchen abgezählt waren. Wenn sie für die Familie kocht, reicht das Essen immer noch für mindestens drei weitere Personen. Es könnte ja noch jemand kommen. Und ohne Essen verlässt kein Gast ihr Haus.
Wo bist Du zu Hause?
Wo meine Heimat ist, wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, als ich bei der Heimfahrt nach einem Urlaub in Italien das deutliche Gefühl hatte, nach Hause zu kommen. Ich fühle mich als Deutscher und gehöre hier her. Italien ist ein schönes Land, aber es ist die Heimat meiner Eltern, nicht meine. Meine Heimat ist Deutschland und ich liebe Italien.

Giuseppe als Kind