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Mustafa

Türkei

 

 

Ich wurde 1968 in Uşak in der Türkei geboren. Im Alter von zwei Jahren nahm mein Vater mich und meine Mutter mit nach Deutschland, wo er bereits seit einigen Jahren lebte und arbeitete. Meine beiden älteren Geschwister blieben zunächst bei meinen Großeltern. 

 

Wie hast Du Deine Kindheit in Deutschland erlebt?

Meine Erinnerungen beginnen, als meine älteren Geschwister zu uns nach Deutschland kamen. Mein Bruder ging zur Schule, meine damals 11-jährige Schwester musste zu Hause bleiben und mich betreuen, damit meine Mutter arbeiten gehen konnte. Meine Kindheit war für mich eigentlich normal und ich habe auch noch heute ein gutes Verhältnis zu meiner Schwester. 

 

Und wie war Deine Schulzeit?

In den 70er Jahren war die Stimmung gegenüber Türken häufig nicht besonders freundlich und ich kann mich an Situationen erinnern, in denen ich von Erwachsenen als „Kümmeltürke“ beschimpft und auch angespuckt wurde. 

In der weiterführenden Schule bekam ich eine schlechte Note, die ich als ungerecht empfand. Meine Eltern beschwerten sich beim Direktor, der daraufhin die Arbeit überprüfte und mir eine bessere Note gab. Diese Lehrerin war eindeutig diskriminierend und brüstete sich später einmal damit, eine „ausländerfreie“ Klasse zu haben. 

 

Wie war das mit der deutschen Sprache bei Euch zu Hause?

Meine Eltern konnten kaum Deutsch. Mein Vater konnte, was er zum Arbeiten und Einkaufen brauchte, meine Mutter noch weniger. Mein Bruder hat es sehr schnell in der Schule gelernt, meine Schwester und ich auf der Straße und auf dem Spielplatz. 

Meine Mutter nahm mich häufig mit zum Einkaufen oder zum Arzt, damit ich für sie übersetzte. Das war mir oft sehr unangenehm. 

 

Hast Du in Deutschland einen Schulabschluss gemacht?

Leider nein. Meine Eltern haben eigentlich ganz gerne in Deutschland gelebt, auch wenn sie immer etwas hin- und hergerissen waren zwischen dem Leben hier und in der Türkei. Als die deutsche Regierung 1983 Ausreisewilligen aus der Türkei finanzielle Anreize bot, wenn sie dauerhaft das Land verlassen, ergriff mein Vater die Chance. Er erhielt das Geld vom Staat, eine Abfindung seiner Firma, ließ sich seine und die Rente meiner Mutter auszahlen und wir gingen zurück in die Türkei. Das war kurz vor meinem Hauptschulabschluss. Dadurch hatte ich keine Chance, in Deutschland einen Abschluss zu machen. 

 

Wie war die Rückkehr in die Türkei für Dich?

Für mich war die Rückkehr in die Türkei ein Schock. Ich wollte in Deutschland leben, aber die freiwillige Ausreise meiner Eltern bedeutete den endgültigen Verzicht auf einen Aufenthaltstitel in Deutschland. Wir konnten also nicht zurück, obwohl auch meine Eltern diesen Schritt bald bereuten und gerne wieder nach Deutschland zurückgekehrt wären. 

Außerdem wurde ich von meinen Geschwistern getrennt, die bereits volljährig waren und sich dem Wunsch meines Vaters widersetzten. Sie blieben zunächst in Deutschland.

Irgendwie gehörte ich nirgendwo hin. Schon als Kind habe ich nach zwei Wochen Urlaub in der Türkei häufig gefragt, wann wir wieder „nach Hause“ fahren würden und habe damit Deutschland gemeint. 

 

Wie ging es für Dich in der Türkei weiter?

Zunächst machte ich eine Ausbildung zum Elektrotechniker und ging dann für eineinhalb Jahre zum Militär. Danach wollte ich auf keinen Fall mehr zu meinen Eltern zurück und zog daher an die Küste. Dort arbeitete ich einige Jahre in einem Teppichgeschäft. Anfang der 90er Jahre war es nicht einfach in der Türkei Arbeit zu finden. Dass ich fehlerfrei Deutsch sprach, war mein großes Kapital und verhalf mit in der damals brummenden Tourismusbrache einen Job zu finden. 

Heimisch wurde ich in der Türkei allerdings nie. 

 

Jetzt lebst Du wieder in Deutschland. Wie bist Du zurückgekommen?

Wie einige meiner Landsleute auch. Ich lernte eine deutsche Frau kennen, die in der Türkei Urlaub machte. Im nächsten Jahr war meine Telefonrechnung extrem hoch und das Faxgerät lief heiß. 1991 kam ich als Tourist für drei Monate nach Deutschland, konnte meine Aufenthaltserlaubnis noch einmal verlängern und nach sechs Monaten haben wir geheiratet. So konnte ich in Deutschland bleiben. 

 

Wie wurdest Du hier aufgenommen?

Obwohl ich schon so lange davon geträumt hatte, nach Deutschland zurückzukehren, war der Anfang nicht immer einfach. Doch die Familie meiner Frau und auch die Freunde und Freundinnen haben mich von Anbeginn an herzlich aufgenommen, was mir das Ankommen in Deutschland sehr erleichtert hat.

Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, endlich wieder in dem Land angekommen zu sein, in dem ich leben wollte und das ich als meine Heimat empfinde. 

Da meine Ausbildung aus der Türkei hier nicht anerkannt wurde, begann ich parallel zu meiner Arbeit in Abendkursen den Hauptschulabschluss nachzuholen. Danach machte ich eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur und später noch eine Qualifizierung zum Kälte- und Klimatechniker. In diesem Beruf arbeite ich bis heute. 

 

Wie stehst Du heute zur Türkei und zu Deutschland?

Deutschland ist meine Heimat, hier fühle ich mich zu Hause, hier bin ich aufgewachsen und hier lebe ich bereits die meiste Zeit meines Lebens. Allerdings machen mir die aktuellen politischen Entwicklungen große Sorgen und mein Sicherheitsgefühl ist erschüttert. Manchmal fragen wir uns, in welches Land wir auswandern würden, wenn die politische Situation hier für uns unerträglich werden würde. 

Noch habe ich die Hoffnung, dass sich die Situation hier nicht verschlimmert, vielleicht sogar verbessert und wir hier wieder in Sicherheit und Frieden leben können.  

Bilder Mustafa